Sonntag, 3. Juli 2016
Der Unterschied zwischen meinem Großvater und mir
Mein verstorbener Großvater erzählte mir einmal von einer Szene, von der ich nur noch Umrisse kenne: Er und seine Kameraden in einem Wald in Jugoslawien im Zweiten Weltkrieg. Ein fremder Soldat kommt auf einem Pferd geritten, sie sind schon oder werden in Kriegsgefangenschaft genommen. Mein Opa sagte zu den anderen, dieser Mann bringt uns eine Entscheidung. (Eine Entscheidung wohl über ihr Schicksal.) Der Soldat fragt, wer ein Handwerk erlernt habe. Keiner tritt vor, sei es aus Angst, oder weil keiner eines beherrschte. Nur mein Großvater tritt vor und sagt, „Ich bin Schuhmacher“. Mein Großvater erzählte die Geschichte so, als hätten die anderen die Frage für eine Falle gehalten. Er war der einzige, der ein Risiko einging und am Leben blieb, alle anderen wurden erschossen.

Ich an seiner Stelle hätte wohl aus Angst den Mund gehalten und gehofft, irgendwie gerettet zu werden. Abgesehen davon, dass man mich in dieser Lage sowieso erschossen hätte (eine Absolventin der Geisteswissenschaften, daher zu nichts zu gebrauchen). Aber ich lebe noch und warte immer noch darauf, dass mich jemand rettet, ich einen guten, sicheren Job finde, endlich nicht mehr selber denken muss und mich bis zum bitteren Ende in ein in sich zusammenfallendes System einhängen kann.

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