Montag, 22. August 2016
Ich will ausbrechen und habe einen Plan.
"Liberation" von jar []. Lizenz: CC BY 2.0.

Es ist so langweilig, jeden Tag der gleichen Routine zu folgen. Ich habe überhaupt keine Lust mehr, hier zu sein. Ich muss dringend aus meinem Leben ausbrechen, aber diesmal will ich anders vorgehen. Ich bin schon mal davon gelaufen und habe eine ganz gute Zeit im Ausland verbracht. Doch als ich heimkehrte, war ich lange arbeitslos und wurde immer depressiver, und pleite war ich noch dazu.

Was ich tue, um das zu erreichen, ist ein wenig merkwürdig, aber wenn die herkömmlichen Mittel alle nicht funktioniert haben, greift man eben auf ganz andere Methoden zurück. Ich stelle mir vor, dass ich schon alles erlebe und habe, was ich mir so sehr wünsche:

- Ich wünsche mir 20.000 €, damit ich frei bin und meinen Job und meine Wohnung kündigen kann, denn ich brauche eine Pause, in der ich nicht arbeiten muss, sondern einfach nur reise.
- Ich wünsche mir die Beziehungen, nach denen ich mich innerlich sehne, die mich erfüllen und die halten.
- Ich wünsche mir drittens, in der Natur zu leben, mit den Menschen, die für mich richtig sind, und mein Leben wieder als sinnvoll zu erleben, weil ich direkt mit der Natur in Berührung bin.

(Ich betrachte andere Menschen mitleidig und herablassend, wenn sie sich ernsthaft Geld vom "Universum" oder Gott oder wem auch immer wünschen. Aber was habe ich denn zu verlieren, wenn ich es auch versuche?)

Darüber hinaus schreibe alle Einwände auf, die ich gegen diese Vision habe und widerlege sie. Es ist erstaunlich, wie viele Gedanken ich denke und glaube, die sich bei näherer Betrachtung als falsch erweisen. Zum Beispiel ist meine große Angst, dass ich beim Herumreisen einsam sein werde. Aber in Wahrheit habe ich auch hier nur eine Freundin, weil alle anderen Freundschaften zerbrochen sind. Weil ich schon lange nicht mehr hier sein will, bin ich nicht offen für meine Umgebung und daher auch nicht für neue Erlebnisse und Menschen. So gehe ich immer im gleichen Trott dahin, was zu meiner Einsamkeit und meinem Unglück führt. Im Ausland bin ich wie neu, frisch, lebendig, und ich bin offen für das, was vor mir, um mich ist. Vorausgesetzt, dass ich nicht herumhetze wie eine Touristin. Das habe ich neulich migemacht und mich gefragt, ob das immer so sein wird: Dass ich gar nicht zur Ruhe komme, nicht mal in den Augenblicken, in denen ich mich ausruhen "sollte" oder könnte vom Hamsterrad? Ich will so nicht leben. Es gibt eine andere Art zu leben, das höre ich von mir nahestehenden Menschen und schließe es aus meinen eigenen kurzen Ausflügen ins Glücklichsein.

Wenn ich dann ein bisschen gereist bin, möchte ich wieder arbeiten. Ich habe eigentlich einen ziemlich großen Drang, zu arbeiten, produktiv zu sein. Ich will aber nicht meine Zeit und Energie mit etwas verheizen, das keinen Sinn hat und mich unglücklich macht, sondern Menschen helfen und eine Art (künstlerisches?) Produkt herstellen. Das Schreiben ist schon länger eine sehr verlockende Sache für mich. Je mehr ich es tue, desto glücklicher macht es mich. Sogar bei Schreibwettbewerben habe ich mitgemacht, aber nichts gewonnen und mich auch sehr unwohl mit den für mein Empfinden beliebigen Themen gefühlt. Beim Schreiben hatte ich immer die JurorInnen vor Augen, die ich mir als überkritische ZEIT-Feuilletonisten vorstellte, solche Leute, die halt nur total verdrehtes und todernstes Zeug als Kunst sehen. Zeug, das ich ja eigentlich kaum lese. Es tut mir leid, aber in diesem Milieu habe ich nichts verloren. Oder? Ich will und kann mich nicht mehr verbiegen und es ist ohnehin Zeitverschwendung, weil ich keine Freude daran habe und am Ende nur ein total verkorkster Text herauskommt. Würde ich dafür auch noch einen Preis kriegen, würde ich mich für die JurorInnen fremdschämen. Ich schreibe und veröffentliche jetzt einfach mal öfter, um meine Selbstzensur zu überwinden und zu lernen, meiner eigenen Stimme Ausdruck zu geben.

Was mache ich heute noch mit meiner restlichen Zeit? Irgendwie habe ich keine Lust darauf, meine üblichen Aufgaben zu erledigen. Mein Leben ist so langweilig geworden, und wenn ich zurückschaue, dann kann ich mich an so vieles gar nicht erinnern. Es stechen so wenige glückliche Momente hervor. Und das meiste, was ich bisher erlebt habe, ist eingefärbt von Unglücklichsein, von einer inneren Dunkelheit, weil ich so viele Probleme mit auf den Weg bekommen hane, die ich nicht alle heilen konnte. Es geht mir schon viel besser als früher, aber mein Leben ist stagniert. Im Hintergrund hat sich viel geändert, doch jetzt muss ich den Karren endlich anstarten und mit meinen neuen Fähigkeiten und allem, was ich geworden bin und gelernt habe, dorthin fahren, wo ich wirklich sein will. So, wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen. Ich habe Angst um mein Leben in dem Sinn, dass ich fürchte, es zu verschwenden, es zu verleben und mich am Schluss zu fragen, ob das alles gewesen sein soll. Warum habe ich nicht mehr gewagt? Ich frage mich das jetzt schon, wenn ich zurückblicke, und deswegen kann ich die Dinge nicht so weiterlaufen lassen.

Was mich am meisten aufhält, sind meine Selbstzweifel, und dass ich grundsätzlich glaube, meine Bemühungen würden immer im Sand verlaufen. Aber stimmt das überhaupt? Ich habe es geschafft, einen Menschen zu treffen, den ich sehr bewundere. Ich wollte das unbedingt und habs drauf angelegt, und es hat geklappt. Ich habe mich zu einer sportlichen, meist gesund essenden Person entwickelt. Ich habe eine Weiterbildung gemacht, damit ein Unternehmen eröffnet und verdiene damit Geld, wenn es auch nur ein Nebenverdienst ist. Also ist es nicht wahr, dass nichts klappt, was ich versuche. Das ist nur etwas, das ich mir zu denken angewöhnt habe, weil ich in der Vergangenheit so oft gescheitert bin.

Ab jetzt hinterfrage ich meine Glaubenssätze, auch wenn das furchtbar esoterisch klingt, denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass das, was ich denke und fühle, einen direkten und manchmal magisch erscheinenden Einfluss auf meine Welt hat. Wenn ich glücklich und entspannt bin und mich so sehr liebe, wie ich eben kann, passieren manchmal wunderbare Sachen: Ich verdiene mehr Geld und Leute schenken mir Dinge, die ich gut gebrauchen kann. Außerdem fühle ich mich irgendwie gut aufgehoben in der Welt, wenn ich das tue. Es gilt, der Versuchung zu widerstehen, mich in den Strudel von schlechten Nachrichten, gesellschaftlicher Untergangsstimmung, Jobfrust und Sinnlosigkeitsgefühlen hineinsaugen zu lassen, denn wenn der mich ausspuckt, muss ich wieder von vorne anfangen mit meinem "inneren Umprogrammieren".

Wofür bin ich heute dankbar? Dass ich diesen Post veröfffentlich, obwohl ich nicht zufrieden damit bin. Damit überwinde ich meine Selbstzensur, und das fühlt sich gut an, nach Freiheit irgendwie.

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Bild: "Liberation" von jar []. Lizenz: CC BY 2.0. (Link: https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/). Link zum Bild: https://www.flickr.com/photos/jariceiii/15521867747/in/photolist-pDBCvr-bqhTgz-p7anew-a5M4RQ-ezWhBb-6KMukL-6KHmKF-4m4PKq-6ykUjz-6KcqLP-pi5Qqm-pi5vCo-pi6dpR-pi6dm4-pi5vFj-pi5Qfb-pi5vzs-pi5vBb-pi5Qhq-pi6dtt-B7G6td-fCN79-pi5W9q-pi5Qg3-pi5vz7-9dB9ky-pi5vHy-pi4DHc-qqPxHG-pi5QsL-pi6jDp-pi6dvx-9SGiXF-pi5Qkb-pi5vE7-pi5Qmy-kqh6T-8y1trq-aqp16p-pi6iSp-pi5vvE-pi5vD5-pi5vAu-pi5VL1-6KcqLR-pi5vFQ-pi5C8N-pi6dfx-3VXL4y-pi6dnM

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