Sonntag, 3. Juli 2016
Der Unterschied zwischen meinem Großvater und mir
Mein verstorbener Großvater erzählte mir einmal von einer Szene, von der ich nur noch Umrisse kenne: Er und seine Kameraden in einem Wald in Jugoslawien im Zweiten Weltkrieg. Ein fremder Soldat kommt auf einem Pferd geritten, sie sind schon oder werden in Kriegsgefangenschaft genommen. Mein Opa sagte zu den anderen, dieser Mann bringt uns eine Entscheidung. (Eine Entscheidung wohl über ihr Schicksal.) Der Soldat fragt, wer ein Handwerk erlernt habe. Keiner tritt vor, sei es aus Angst, oder weil keiner eines beherrschte. Nur mein Großvater tritt vor und sagt, „Ich bin Schuhmacher“. Mein Großvater erzählte die Geschichte so, als hätten die anderen die Frage für eine Falle gehalten. Er war der einzige, der ein Risiko einging und am Leben blieb, alle anderen wurden erschossen.

Ich an seiner Stelle hätte wohl aus Angst den Mund gehalten und gehofft, irgendwie gerettet zu werden. Abgesehen davon, dass man mich in dieser Lage sowieso erschossen hätte (eine Absolventin der Geisteswissenschaften, daher zu nichts zu gebrauchen). Aber ich lebe noch und warte immer noch darauf, dass mich jemand rettet, ich einen guten, sicheren Job finde, endlich nicht mehr selber denken muss und mich bis zum bitteren Ende in ein in sich zusammenfallendes System einhängen kann.

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Ein Traum
BILD: "Backlight on White Grass" von
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Rob MacEwen.

Ich träumte, ich ging durch ein Feld weißer, grasartiger Pflanzen. Sie waren naturweiß, ganz unnatürlich für eine Pflanze und ich wusste nicht, worum es sich handelte. Beim Durchgehen zertrat ich viel und die Halme blieben dauernd an mir kleben. Es war wirklich das künstlichste „Getreide“, das ich je gesehen hatte, wie Plastik. Es hatte etwas Frankensteinhaftes und ich musste immer wieder durchgehen. Nein, ich musste nicht. Ich durchquerte es, um zu dem Baum in der Mitte des Feldes zu gelangen, wo ich mich auf das bisschen grüne Gras setzte, mich an ihn lehnte und versuchte, ein bisschen Frieden und Entspannung zu erhaschen.

Doch ich fühlte mich dabei bedrückt, denn in Wahrheit waren ich und dieser kleine Fleck Natur umgeben, umzingelt von diesen weißen, klebrigen Pflanzen, die den Menschen und den anderen Pflanzen nicht gut tun konnten. Als ich da saß, kam auf der Straße, die an dem Feld vorbeiführte, ein alter Bekannter vorbei, auf einem Holzauto, wie Kinder es manchmal haben, doch seines war motorisiert.

Weil es mich freute, jemanden zu kennen in dieser Gegend und nicht gänzlich einsam zu sein, rannte ich zu ihm hin, mein Laufen verlangsamt durch das klebrige Gras, das mir die Bewegung schwer machte. Wir redeten und ich fühlte diese eine Minute lang meine Einsamkeit und Abgetrenntheit von der Welt überdeckt mit der Illusion von Gesellschaft und Zugehörigkeit. Aber er musste gleich wieder weiter, vielmehr wollte er weg von diesem Ort, denn er war frei So stampfte ich wieder zurück zu meinem kleinen Sitzplatz inmitten des giftigen Pflanzenfeldes. Bald kam wieder ein anderer Bekannter vorbei. Einer mit dem starkem Willen, zu tun, was ihm beliebte; unzuverlässig zwar, aber nicht sich selbst gegenüber. Ihn konnte nichts aufhalten. Ich zertrampelte also wieder das Feld, um zu ihm auf die Straße zu gelangen und ihn zu begrüßen.

Er hatte so eine warme, löwenhafte, gewinnende Natur, dass ich neidisch wurde auf ihn. Er führte ein freies Leben, auf seinem Motorrad unterwegs in den Sonnenuntergang, und ich steckte fest in meinem verdammten Feld. Doch das war mir noch nicht bewusst. Es störte mich noch nicht wirklich. Ich dachte, festzustecken sei mein Schicksal, meine Rolle. Ab und zu besucht zu werden von Menschen, die mir ihre Abenteuer erzählten, während ich mich zufriedengab mit dem, was ich hatte, wenn es mich auch nicht befriedigte oder glücklich machte. Ich trat nur in die Fußstapfen all der Frauen, von denen ich abstammte. Wie eine an ihrem Pflock angebundene Kuh blieb ich bei meinem Baum, dem einzigen Ort der Entspannung und Schönheit inmitten eines Feldes, das mir ganz falsch vorkam und mir mit seiner Giftigkeit in die Seele kroch.

Ich sehnte mich nach allem, was natürlich war und wollte in Kontakt mit der Erde bleiben und der kleine Flecken mitten im Feld war meine Verbindung zu ihr. Als ich wieder von der Straße zu meinem geliebten Baum zurückstapfte, sah ich, dass inmitten der weißen Pflanzen ein Schild angebracht war: Achtung, Pestizide. Ein Totenkopf. Ich war in einem Meer aus Gift, dauernd an dem kläglichen Versuch scheiternd, in dieser widerwärtigen Umgebung in Kontakt mit etwas Frischem, Natürlichen zu kommen, das mich nährte. Während andere lebten, wartete und wartete und wartete ich darauf, dass jemand kommen würde, um mich abzuholen, zu retten. Ich verstand, dass ich mir in diese Lage nicht mehr vom Leben erhoffen konnte, als das Meer der Freiheit in mir zu spüren und es nie zu erreichen. Ich musste weg von dort. Als ich aufwachte, wusste ich, dass ich gemeint war und etwas ändern musste.

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BILD: "Backlight on White Grass" von
Rob MacEwen. Lizenz: CC BY-NC 2.0. (Link: https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/) No changes were made to the photo. Link zum Bild: https://www.flickr.com/photos/torontorob/4045295690

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